Die Rheinschnook – Eine hundertjährige Geschichte

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April 1912, Nordatlantik. Das größte Schiff seiner Zeit, die unsinkbare TITANIC, rammt auf ihrer Jungfernfahrt mitten in der Nacht einen Eisberg und sinkt innerhalb von 2 Stunden. Ein Jahr zuvor wird in der Werft des holländischen Hans-Wörth die HANSWEERT auf Kiel gelegt (13 Tonnen Zuladung, 26,90 m Länge, 4,78 Breite). Nach ihrer Jungfernfahrt wird das Schiff mit den kastenförmigen Aufbauten einer religiösen Bestimmung übergeben. Die Hansweert kreuzt bis zum 1. Weltkrieg als ‚Schiffer-Missionskirche’ auf den niederländischen Kanälen.

Der Kanonendonner des Weltkriegs wandelt den Geist des Schiffes. Zerstreuung ist gefragt. Die HANSWEERT wird zum schwimmenden Lichtspieltheater umgebaut, der Altar weicht der Leinwand. Kanalschiffer und Matrosen frönen der neuartigen Lustbarkeit. Aber schon bald ist auch das Wasserkino am Ende. Nun ziehen Künstler aufs Schiff, verwandeln die Räume in eine Galerie, in der Holländische Maler ihr Werke zur Schau stellen. Die HANSWEERT schippert als ‚Kunstship’ von Hafen zu Hafen, von Kai zu Kai, ein schmaler Blick auf die aktuelle Malerei der Niederlande. Das Interesse daran erlahmt, die Maler gehen von Bord, ein Zimmermann entert auf und schreinert sich im Boot Wohnung und Werkstatt. In einer großen Flut mitten in den Zwanzigern kentert die HANSWEERT, sinkt auf den Grund, taucht in ein schlammiges Grab, von Gott und der Welt vergessen, nur noch ein ärgerliches Schifffahrtshindernis. Eines Tages erinnern sich barmherzige Schiffsleuten an das versunkene Schiff, ziehen das Wrack aus dem Schlick, vertäuen es als trauriges Denkmal der Vergänglichkeit an einer einsamen Pier. Dort wäre wahrscheinlich auch die letzte Ruhestätte der HANSWEERT gewesen. Doch da stöbert der Sondernheimer Flaschenbierverkäufer Adam Mellein auf der Suche nach einer preiswerten ‚schwimmenden Wirtschaft’ die Rostlaube an ihrem traurigen Liegeplatz auf, erwirbt die HANSWEERT für wenig Geld, macht sie flott, überführt sie ins pfälzische Sonderheim (Rheinkilometer 380), nennt sie von nun an RHEINSCHOOK, renoviert das Schiff, schüttet zur ruhigeren Wasserlage für seekranke Gäste 600 Zentner Beton in den Kiel und eröffnet eine schwimmende Gastwirtschaft auf dem Rhein:

„Adam Melleins Rheinschnook war bald zum beliebten Ausflugsziel geworden. Die Küche erwarb einen guten Ruf, und auch die Getränkekarte konnte manch edlen Tropfen aufweisen. In der Schifffahrt spielte die „Rheinschnook“ zusätzlich eine wichtige Rolle. Sie wurde zum schwimmenden Kaufladen, in dem die Fahrensleute ihren Bedarf für die weitere Reise deckten…“  (Kurt Hense, Rhein-Neckar-Zeitung 1966)

Die Rheinschnook  (lat. Tipulidae rheni fluvii) ist der mundartliche Ausdruck der Spezies Rheinschnake. Ein äußerst lästiges, Blut saugendes Insekt, das gerade am Rhein und seinen Nebengewässern zu einer biblischen Plage auswachsen kann. Ein mutiger Name für ein Gastschiff, das im Hochsommer von Millionen Schnaken belagert war. Heute schützt KABS (Kommunale Arbeitsgemeinschaft zur Bekämpfung der Schnakenplage in Waldsee/Reinlandpfalz) die Rheinbewohner vor den fliegenden Vampiren.

Der Zweite Weltkrieg bricht auch über die ‚Rheinschnook’ herein. Als das Tausendjährige Reich dem Ende zugeht, verlegt die Wehrmacht das Schiff auf die badische Seite, wo es vor den nahenden alliierten Truppen gesprengt werden soll. – Aber nicht mit Adam Mellein! In Nacht und Nebel kapert er seine geliebte Rheinschnook, setzt sich mit dem Schiff ab und versteckt es irgendwo im Altrheindschungel der pfälzischen Seite. Nach der Kapitulation beschlagnahmt die französische Armee das Schiff und nutzt es in Speyer als Posten der Strompolizei. Frieden zieht ins Land, Adam Mellein bekommt sein Schiff wieder. Die schwimmende Gastwirtschaft wird neu eröffnet. Gäste strömen herbei, so zahlreich, dass er den Gastbetrieb auf das Land, die Rheinterrassen, erweitern muss. Adam Mellein stirbt im Mai 1965, seine Tochter Bina führt den Betrieb weiter, aber das Schiff ist in die Jahre gekommen, alt und wackelig, der Liegeplatz im dicht befahrenen Strom nicht mehr sicher. Es schlägt die Stunde des 1. MBC SPEYER, der ein Clubschiff für seinen Verein im ‚Reffenthal’ sucht. Im Frühjahr 1966 überreicht Tochter Bina den Vorständen des 1. MBC, Rudolf Jöckle, Magnus Gruber, Richard Fortmann, die Schiffspapiere. Und an einem sonnigen Tag im April 1966 lenkt eine Überführungscrew unter Leitung von Schorsch Hümmer, ein echter Kapitän mit Rheinpatent, die Rheinschnook von ihrem Liegeplatz in den Strom. Bei Rheinkilometer 406,3 schwenkt das betagte Schiff ins Reffenthal ein und wird am Kopfsteiger Ost des 1. MBC Speyer sicher vertäut.  Die Irrfahrten der Rheinschnook sind zu Ende. Nach Kirche, Kino, Kunst und Kneipe hat die ehemalige HANSWEERT ihren letzten Hafen gefunden. Aber das ist noch nicht das Ende ihrer Geschichte. Nach 2 Weltkriegen, Sturmflut und Sprengung droht erneute eine Katastrophe: Das gewaltige Fronleichnam-Hochwasser von 1978.

„Das Wasser stieg stündlich höher. Alle 1. MBC-Skipper wurden an Bord gerufen. In der Nacht vom 24. Zum 25. Mai 1978 waren Wachen eingeteilt; denn die Flut wollte nicht anhalten, geschweige denn sinken. Was geschieht, wenn die ganze Anlage samt Rheinschnook aus den Dalben schwimmt? Was wird aus unserem Clubschiff? Der Präsident berief eine Krisensitzung ein. Nach harter Diskussion entschied eine Mehrheit: Wir bringen unsere Rheinschook ans rettende Ufer. In einer Großaktion wird das Schiff vom Steg gelöst, zum Ufer gefahren und oberhalb der überfluteten Liegewiese mit stärksten Tauen an dicken Bäumen belegt. Das Hochwasser ging tags darauf zurück, die Rheinschnook lag gestrandet auf dem Trockenen… (Hafenkurier 78)

Und da sollte sie auch bleiben. Gerettet? Noch nicht ganz. Der  Amtsschimmel will die Rheinschnook noch einmal versenken. Ein Schiff auf einer Wiese ist in den Statuten nicht vorgesehen. Zuständigkeiten prallen aufeinander. Wasserrecht gegen Liegenschaftsamt. Aber auch dieses Unheil geht vorüber. Die Rheinschnook wird hydraulisch aufgebockt, eine neue Außenhaut geschweißt, Beton-Basis, Versorgungsleitungen, Zugänge zu den Gasträumen und Lagerplätzen werden geschaffen, zuletzt ein stolzer Flaggenmast und eine großzügige Terrasse vor dem gestrandeten Schiff – so thront die Hundertunddreijährige bis zum heutigen Tag auf ihrer Wiese.

Und während die ‚unsinkbare Titanic’ in ihrem 3000-Meter-Grabnur von Fischen beglotzt wird, garantiert die Rheinschook jedes Jahr in der Saison vom 1. Mai bis Mitte Oktober Mitgliedern und Gästen heiteren Aufenthalt bei regionalen Speisen und pfälzischem Wein.